Typisch Hafenstraße: So tickt Bremerhavens urbane Lebensader wirklich

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Die Straße kämpft mit einem schlechten Ruf, wirkt vielerorts verlottert. Doch das Innenleben von Bremerhavens einstigem Prachtboulevard zeugt von multikultureller Menschlichkeit.
In der Hafenstraße in Bremerhaven war früher viel los. Etliche Kinos, Gaststätten und Discotheken säumten ab den 1950er Jahren die Meile im Stadtteil Lehe. Im Laufe der Zeit erlebte die Straße einen Niedergang, heute kommt sie oft schlecht weg. Doch es passiert etwas: Viele Menschen finden hier eine neue Heimat.
Zwei Kilometer lang führt die Hafenstraße mitten durch einen der ärmsten Stadtteile Deutschlands. Ihr Ruf: Ein schwieriges Pflaster mit leeren Geschäften, Schrottimmobilien und immer auch ein wenig schmuddelig. Arm, arbeitslos und kriminell: So berichten bundesweit immer wieder Medien über die Menschen, die dort leben. Die Anwohner nervt das. Denn auch das ist die Hafenstraße: Eine Hauptschlagader, Wirkungs- und Lebensraum mit schönen Gründerzeitbauten. Sobald die Sonne rauskommt, sitzen Anwohner vor den Cafés.
Neuanfang in der Hafenstraße
Omar Kheir, sein Vater Adhm-Mohamed, Bruder Mohamad und der kleine Roudi sind die Neuen in der Hafenstraße. Vor einem Jahr haben sie einen Lebensmittelladen eröffnet und sich hier gleich wohlgefühlt.
Warum Hafenstraße? Weil es hier viele Leute aus verschiedenen Ländern gibt – also deutsche, syrische, türkische, bulgarische.
Mohamad Kheir, Lebensmittelgeschäft "Roudi"

Der Markt der Familie heißt "Roudi" – wie der jüngste der Brüder. Für die Syrer ist es ein Neuanfang – ein großer Traum, wie sie sagen. Und Mohamad Kheir weiß bereits, was in der Hafenstraße zählt: "Also ich habe jetzt auch einige Wörter auf Türkisch und Bulgarisch gelernt." Denn das ist typisch Hafenstraße: Menschen mit verschiedensten Wurzeln leben und arbeiten hier mit- und nebeneinander. Es gibt bulgarische Lebensmittel, orientalisches Hairstyling und den türkischen Supermarkt. Überall hört man unterschiedliche Sprachen, Somali, Portugiesisch, Griechisch, Arabisch.
Kein krimineller Hotspot
Den Ruf krimineller als anderswo zu sein, kann Kontaktpolizist Stefan Daniels für die Hafenstraße nicht bestätigen. Er ist regelmäßig vor Ort unterwegs, führt viele Gespräche und findet, Außenstehende urteilen oft vorschnell.
Woher kommt der Ruf einer Straße? Meistens nicht aus dem Quartier, sondern von außen. Man sieht Sachen aus dem Augenwinkel und macht sich schnell ein Bild, was aber meistens falsch ist.
Stefan Daniels, Kontaktpolizist

Mit den Menschen reden – das ist auch Tuncer Eker ein Anliegen, in seinem Kiosk sollen sich alle wohlfühlen. "Das ist sehr wertvoll, vor allem in der heutigen Lage", sagt Eker. "Wir sitzen alle im selben Boot und wir hoffen, dass wir gemeinsam die Hafenstraße wieder nach vorne bringen." Sein Mittel gegen den schlechten Ruf: Er will ein Wir-Gefühl schaffen. Jeder ist in seinem Laden willkommen, auf einen Kaffee oder einen Schnack.
Gelebte Vielfalt in Bremerhaven

Die meisten Menschen leben hier in guter Nachbarschaft zusammen – nicht überall selbstverständlich, wo derart viele Kulturen aufeinanderprallen. Eine Passantin sagt: "Das stört mich gar nicht – es gibt für mich keine Ausländer, für mich sind das alles Menschen." Er sei stolz auf das Miteinander, sagt ein Händler. "Sie werden hier überall mit Multikulti konfrontiert."
Familie Kheir ist ein Teil davon. Sie hat hier ihren Neuanfang gewagt – nach der Flucht vor dem Krieg. Und: Die vier haben noch größere Träume: "Einen Laden wie Edeka aufmachen." Wo könnte es sonst klappen, wenn nicht hier in der Hafenstraße. Der Straße, die ihrem schlechten Ruf vieles entgegen zu setzen hat.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. Dezember 2021, 19:30 Uhr